Bis zum nächsten Mal, Wolfgang!

Langenlehsten - Zarrentin (18 km)


Wolfgang hat sich in der Nacht gut erholt. Er brennt nahezu darauf, heute wieder wandern zu dürfen. Wenn unten in der Diele nicht eventuell ein großer Bernhardiner lauern würde, würde er die Treppe hinuntertänzeln. So ist er etwas in seinem Schritt gehemmt, flötet aber ein präventives "Bernhard! Beeernhaaard!" die Treppe hinunter und macht uns beiden damit den Weg frei. Frau Kohn steht in der Küche und putzt gerade die Fliesen hinter der Herdplatte. Ihr Mann wollte ihr beim Herstellen von Erdbeermarmelade helfen, zog nur leider den noch rotierenden  Pürrierstab zu früh aus dem Erdbeermus. Das Ergebnis kann man sich ausmalen.


Nach einem gepflegten Frühstücks-Smalltalk, bei dem hauptsächlich Frau Kohn spricht, machen wir uns auf den Weg nach Zarrentin. Schnurgerade geht es durch Getreidefelder auf einen Kiefernforst zu, der kaum näher kommen will. Die Natur hat Erbarmen und schickt etwas Abwechslung: Hasen stürmen schonmal auf dem Weg vor uns her und Rehe springen durchs Getreide. Das Wetter ist für diese Strecke genau richtig. Wo kein Baum steht, gibt es bei Sonnenschein keinen Schatten und bei Regen und Sturm keinen Schutz. Also sind wir zufrieden mit dem bedeckten Himmel und der Windstille. Wir sind ja so genügsam.


Nach dem schnurgeraden Stück durch die Feldflur schließt sich ein doppelt so langes schnurgerades Stück durch den Kiefernforst an. Außer Kiefern gibt es auch hier das ein oder andere Reh, das wir erspähen, das wäre es aber auch mit der Abwechslung. Es sei denn, man zählt das langsame Anschwellen der Geräuschkulisse von der Autobahn Hamburg - Berlin mit dazu, dann wird es schon interessanter. Von der Brücke aus, die die Autobahn überspannt, sehen wir links die Raststätte Gudow liegen. Da klar ist, dass es bis Zarrentin keine andere Rastmöglichkeit gibt, machen wir einen kleinen Umweg und laufen "durch die Hintertür" die Raststätte an. Eine bequeme Sitzgelegenheit und ein Kaffee sollen es dann doch sein.


An parkenden LKW vorbei erreichen wir die Raststätte mit der Überschrift "Burger King", dabei denke ich, hier müsse "Gudow" drüberstehen, aber so ändert sich eben alles. Der Clubsessel im Restaurantbereich ist sehr bequem, die Preise machen mich fast wütend. So bleibt es tatsächlich beim Kaffee, obwohl die Verlockung, auch anderes zu verkonsumieren, relativ groß ist. Außerdem kostet ein Toilettengang 70 Cent, das hätte ich draußen auch preiswerter haben können. Nach einer halben Stunde sind wir wieder auf der Piste.


Jenseits der Raststättenanlage queren wir wieder die Grenze, raus aus Schleswig-Holstein, rein nach Mecklenburg-Vorpommern. Eigentlich müssten wir jetzt für einen Kilometer einen Kolonnenweg gehen, aber den gibt es nicht mehr, aufgehoben. Wo sind jetzt wohl seine Platten geblieben? Zu Schotter verarbeitet, irgendwo wiederverwertet? Mich interessiert das wirklich. Wo ist der ganze Kram hin? Natur und Kulturland sehen "im Osten" mittlerweile nicht mehr wesentlich anders aus als "im Westen", aber den Dörfern sieht man ihre DDR-Vergangenheit irgendwo immer noch an. Valluhn und Schadeland sind solche Dörfer. Zu lange lagen sie hier in Grenznähe im Abseits. Es wird wohl noch eine Zeit lang dauern, bis auch diese Narben unkenntlich geworden sind. 


Auf den letzten Kilometer fällt mir auf, dass die Landschaft sich verändert. Vorbei ist es mit dem platten Land. Aus leichten Wellen werden Hügel, die letzten Kilometer des Weges schwingen sich auf und ab und Wolfgang sieht gewisse Parallelen zu den Elbbergen hinter Boizenburg. Das ist natürlich maßlos übertrieben, aber im Ansatz nicht falsch. Doch Wolfgang ist motiviert: Nach Zieleinlauf in Zarrentin ist für ihn die dreitägige Wandererfahrung Teil 2 beendet und ursprünglich war die Rückfahrt mit dem Bus von Zarrentin zu seinem Wagen nach Boizenburg für nach 17 Uhr angedacht. Ein zufälliger Blick aber auf einen Fahrplan an der Bushaltestelle von Valluhn, durch das der Bus ebenfalls fahren wird, hat gezeigt, dass bereits um 14.00 Uhr sich ein früherer Bus auf den Weg gen Boizenburg machen wird. Also schreitet er beflügelt voran, das müsste doch zu schaffen sein.


Mit der Uhr im Auge, aber letztlich ohne Stress, kommen wir tatsächlich frühzeitig genug in Zarrentin an. Sogar so frühzeitig, dass wir noch fürstlich speisen können. Seit Lauenburg schlummert in Wolfgangs Rucksack noch ein Rest Sauerfleisch vom abendlichen Essen. Zusammen mit den zwei Brötchen, die er sich gestern zusätzlich zum Bier in Büchen gekauft hat, ergibt dies eine hervorragende Abschiedsmahlzeit für zwei Personen. Nicht weit weg von der Bushaltestelle hocken wir uns auf eine Vorgartenmauer und verdrücken diese Reste mit Genuss.


Zwanzig Minuten später biegt der Bus um die Ecke. Drei schöne gemeinsame Tage mit 60 zusammen zurückgelegten Kilometern liegen hinter uns. Wolfgang steigt in den Bus, ein letztes Winken, die Bustüren schließen sich. Wenn du dich nochmal motivieren kannst, mich irgendwann mal ein Stück zu begleiten, Wolfgang, immer wieder gerne! Für die gute Laune unterwegs bist du immer eine Bereicherung.


Eine Woche noch habe ich jetzt wieder alleine vor mir. Dann war es das!


Meine Unterkunft in Zarrentin liegt keine hundert Meter von der Bushaltestelle entfernt. Eine Gaststätte mit drei Zimmern, die hauptsächlich "Monteurzimmer" sind. Das Zimmer ist ok, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin, ob meine Nase nicht doch leichten Zigarettenduft in den Gardinen wahrnimmt. Abends verblüfft mich, dass die anderen Zimmergäste, wohl alles Monteur-Stammkundschaft, direkt durch die Küche den Gastraum betreten. Als ich dann zu meinem Bedauern feststellen muss, dass auch noch kräftig geraucht wird, ist mir schnell klar, dass hier andere Gesetze herrschen. Dafür ist mein Schnitzel auf Toast gefällig groß, keine Fingerhutportion, sondern tellerdeckend. Man kann eben nicht alles haben ...


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